Freiheitsstatue

Palzki und Christoph Kolumbus

Autor: Harald Schneider

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Es hätte so ein schöner Tag werden können.

Die Fasnachtszeit zählte zu den stressigsten Wochen im Leben eines Polizeibeamten. Dies galt nicht nur für die Schutzpolizei, die regelmäßig kiloweise Führerscheine beschlagnahmte oder alkoholisierte Streithähne trennen musste, sondern auch für uns bedauernswerte Kriminalpolizisten. Zum einen lag das an immer erfindungsreicheren Ganoven, die die Zeit der Verkleidung und damit legalen Vermummung für allerhand ungesetzliches Tun nutzten, zum anderen an meinem Chef.

Klaus P. Diefenbach, den wir wegen seiner Initialen nur KPD nannten, war eine Sache für sich. Als Dienststellenleiter konnte er sich so manchen Spleen leisten, bei dem man in der freien Wirtschaft sofort hochkant aus dem Unternehmen geflogen wäre. Einer seiner noch eher harmloseren Spleens waren seine spektakulären Verkleidungen anlässlich des jährlichen Polizeiballs, den er als Schirmherr im Mutterstadter Palatinum mitveranstaltete.

Im letzten Jahr trat er als Napoleon Bonaparte auf und hielt sogar eine Büttenrede, in der der Feldherr eine große Rolle spielte. Etwas angesäuert war er allerdings, als wir ihn, zugegebenermaßen nicht mehr ganz nüchtern, am Ende der Veranstaltung in einen Polizeitransporter bringen wollten, um ihn zwecks Verbannung nach St. Helena zu verschiffen.

Mindestens zwei Wochen vor dem Polizeiball begann er während der Dienstzeit durch die Flure zu streifen, um allen seine neue Verkleidung vorzustellen. Heute war ich an der Reihe.

»Wie kommen Sie denn hier herein?«, fragte ich überrascht, als KPD in mein Büro trat. »Bettler und Hausierer haben in der Dienststelle keinen Zutritt.«

KPD hatte die Anspielung nicht verstanden. »Aber ich bin’s doch, Ihr lieber und guter Chef.« Zur Verdeutlichung setzte er seinen seltsam geformten Hut ab.

»Ach ja, jetzt erkenne ich Sie«, frotzelte ich weiter. »Was macht Ihr Friseur eigentlich im Hauptberuf?«

»Das ist eine Perücke, Palzki«, erwiderte KPD. »Dieses Jahr bin ich Christoph Kolumbus, der Entdecker Amerikas.«

»Das ist aber falsch«, antwortete ich schlagfertig. »Die Wikinger waren 500 Jahre schneller.«

KPD wischte mein Argument mit einer Handbewegung zur Seite. »Mit Kolumbus begann die Besiedlung Amerikas und nur das zählt.« Die Ureinwohner erwähnte er nicht. KPD schritt mit herausgestreckter Brust in meinem Büro auf und ab. »Die historische Kleidung ist leider wenig komfortabel und recht schwer. Damit werde ich mich leider abfinden müssen. Dieses Jahr wird es auf dem Ball ein weiteres Highlight geben, Palzki: Ich habe rund ein Dutzend Beamte abkommandiert, um ein verkleinertes Modell der Santa Maria nachzubauen. Auf diesem Schiff halte ich dann meine Büttenrede. Von der Geburt Kolumbus in Genua, die allerdings etwas im Geheimnisvollen liegt, über die Entdeckung Bahamas im Oktober 1492. Bei seiner vierten und letzten Reise erkundete er die mittelamerikanische Festlandküste zwischen Honduras und Panama. Dort entdeckte er zufällig den Panamakanal, also die Seeverbindung zwischen Atlantik und dem Pazifik. Zu Lebzeiten hat es Kolumbus aber nicht mehr bis in den Pazifik geschafft.«

»Das wird bestimmt eine tolle Büttenrede«, sagte ich ironisch. Unter zwei Promille Alkoholspiegel dürfte sie tödlich sein, dachte ich gehässig. Außerdem freute ich mich darauf, wenn man meinen Chef nach seiner Rede auf einen ungeheuren Fehler aufmerksam machte. Vorfreude war doch immer noch die größte Freude.