Spannend - Skurril - Humorvoll

Kategorie: Ratekrimi

Ratekrimi Nr. 17

Freiheitsstatue

Palzki und Christoph Kolumbus

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Die Fasnachtszeit zähl­te zu den stres­sigs­ten Wochen im Leben eines Polizeibeamten. Dies galt nicht nur für die Schutzpolizei, die regel­mä­ßig kilo­wei­se Führerscheine beschlag­nahm­te oder alko­ho­li­sier­te Streithähne tren­nen muss­te, son­dern auch für uns bedau­erns­wer­te Kriminalpolizisten. Zum einen lag das an immer erfin­dungs­rei­che­ren Ganoven, die die Zeit der Verkleidung und damit lega­len Vermummung für aller­hand unge­setz­li­ches Tun nutz­ten, zum ande­ren an mei­nem Chef.

Klaus P. Diefenbach, den wir wegen sei­ner Initialen nur KPD nann­ten, war eine Sache für sich. Als Dienststellenleiter konn­te er sich so man­chen Spleen leis­ten, bei dem man in der frei­en Wirtschaft sofort hoch­kant aus dem Unternehmen geflo­gen wäre. Einer sei­ner noch eher harm­lo­se­ren Spleens waren sei­ne spek­ta­ku­lä­ren Verkleidungen anläss­lich des jähr­li­chen Polizeiballs, den er als Schirmherr im Mutterstadter Palatinum mitveranstaltete.

Im letz­ten Jahr trat er als Napoleon Bonaparte auf und hielt sogar eine Büttenrede, in der der Feldherr eine gro­ße Rolle spiel­te. Etwas ange­säu­ert war er aller­dings, als wir ihn, zuge­ge­be­ner­ma­ßen nicht mehr ganz nüch­tern, am Ende der Veranstaltung in einen Polizeitransporter brin­gen woll­ten, um ihn zwecks Verbannung nach St. Helena zu verschiffen.

Mindestens zwei Wochen vor dem Polizeiball begann er wäh­rend der Dienstzeit durch die Flure zu strei­fen, um allen sei­ne neue Verkleidung vor­zu­stel­len. Heute war ich an der Reihe.

»Wie kom­men Sie denn hier her­ein?«, frag­te ich über­rascht, als KPD in mein Büro trat. »Bettler und Hausierer haben in der Dienststelle kei­nen Zutritt.«

KPD hat­te die Anspielung nicht ver­stan­den. »Aber ich bin’s doch, Ihr lie­ber und guter Chef.« Zur Verdeutlichung setz­te er sei­nen selt­sam geform­ten Hut ab.

»Ach ja, jetzt erken­ne ich Sie«, frot­zel­te ich wei­ter. »Was macht Ihr Friseur eigent­lich im Hauptberuf?«

»Das ist eine Perücke, Palzki«, erwi­der­te KPD. »Dieses Jahr bin ich Christoph Kolumbus, der Entdecker Amerikas.«

»Das ist aber falsch«, ant­wor­te­te ich schlag­fer­tig. »Die Wikinger waren 500 Jahre schneller.«

KPD wisch­te mein Argument mit einer Handbewegung zur Seite. »Mit Kolumbus begann die Besiedlung Amerikas und nur das zählt.« Die Ureinwohner erwähn­te er nicht. KPD schritt mit her­aus­ge­streck­ter Brust in mei­nem Büro auf und ab. »Die his­to­ri­sche Kleidung ist lei­der wenig kom­for­ta­bel und recht schwer. Damit wer­de ich mich lei­der abfin­den müs­sen. Dieses Jahr wird es auf dem Ball ein wei­te­res Highlight geben, Palzki: Ich habe rund ein Dutzend Beamte abkom­man­diert, um ein ver­klei­ner­tes Modell der Santa Maria nach­zu­bau­en. Auf die­sem Schiff hal­te ich dann mei­ne Büttenrede. Von der Geburt Kolumbus in Genua, die aller­dings etwas im Geheimnisvollen liegt, über die Entdeckung Bahamas im Oktober 1492. Bei sei­ner vier­ten und letz­ten Reise erkun­de­te er die mit­tel­ame­ri­ka­ni­sche Festlandküste zwi­schen Honduras und Panama. Dort ent­deck­te er zufäl­lig den Panamakanal, also die Seeverbindung zwi­schen Atlantik und dem Pazifik. Zu Lebzeiten hat es Kolumbus aber nicht mehr bis in den Pazifik geschafft.«

»Das wird bestimmt eine tol­le Büttenrede«, sag­te ich iro­nisch. Unter zwei Promille Alkoholspiegel dürf­te sie töd­lich sein, dach­te ich gehäs­sig. Außerdem freu­te ich mich dar­auf, wenn man mei­nen Chef nach sei­ner Rede auf einen unge­heu­ren Fehler auf­merk­sam mach­te. Vorfreude war doch immer noch die größ­te Freude.

Ratekrimi Nr. 32

Spargel

Palzki und der Chefkoch

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Der Juni ende­te mit einer gran­dio­sen Hitzewelle, so heiß war schon seit Jahrzehnten kein Juni mehr gewe­sen. Leider brach­ten auch die ers­ten bei­den Wochen des Folgemonats kei­ne wesent­li­che Besserung: Die Wetterprognosen lagen auch für die nächs­ten Tage rekord­ver­däch­tig hoch. Unser Rasen sah aus wie die Sahara und selbst mei­ne Frau Stefanie ver­zich­te­te auf­grund der extre­men Wetterlage dar­auf, mir einen Auftrag zur Bewässerung des Gartens zu ertei­len. Zu Hause hat­te ich mir vor Jahren ein klei­nes pri­va­tes Büro im Keller ein­ge­rich­tet, das ich bis­her man­gels Büroarbeiten nur homöo­pa­thisch nutz­te, das aber zur­zeit auf­grund der ange­neh­men Raumkühle als Rückzugsort her­vor­ra­gend geeig­net war. Die Betonung lag auf dem Wörtchen »war«, da mei­ne Frau die Vorzüge des Kellers eben­falls ent­deck­te und dort seit­dem ihre Bügelwäsche abar­bei­te­te, natür­lich mit dem ent­spre­chen­den Dampfdruckgerät.

Im Büro auf mei­ner Dienststelle war es fast nicht mehr aus­zu­hal­ten. Das lag zum einen an mei­nem Chef KPD, wie wir den Dienststellenleiter Klaus P. Diefenbach nann­ten. Dies war ein Dauerzustand, den es unab­hän­gig von der Wetterlage immer aus­zu­hal­ten galt. Zum ande­ren lag mein Büro aus­ge­rech­net auf der Südseite und durch das beschat­tungs­lo­se Panoramafenster knall­te die Sonne erbar­mungs­los auf mich nie­der, selbst das Furnier der Schreibtischplatte bekam ers­te Brandblasen.

Unser Chef hat­te es natür­lich bes­ser: Für sei­ne über­di­men­sio­nier­te Klimaanlage, die sein rie­si­ges Großraumbüro auf gefühlt knapp über den Gefrierpunkt abkühl­te, hat­te er den Stromanschluss der Dienststelle ver­stär­ken las­sen müs­sen. Nach Information des Hausmeisters benö­tig­te unse­re Dienststelle im Sommer mehr Strom als die Rheingalerie. Bisher war ich alles ande­re als froh gewe­sen, wenn KPD mich in sein Büro bestellt hat­te, da es immer mit etwas Unheilvollem ver­bun­den war. Und so war es auch die­ses Mal, glück­li­cher­wei­se konn­te ich mich so ein paar Minuten lang ark­ti­schen Temperaturen aus­set­zen, die es sonst nur in den Gefriertruhen der Supermärkte gab.

»Herr Palzki«, begrüß­te mich KPD, der einen schi­cken Schurwollanzug und ein lang­ärm­li­ges Hemd trug. »In der Arrestzelle sitzt Georg Daun. Gehen Sie run­ter und über­prü­fen Sie sein Alibi. Das ist extrem wich­tig für mich, machen Sie es des­halb sofort und danach mel­den Sie sich bei mir zum Rapport.«

Mir blieb nichts ande­res übrig, als zur Arrestzelle ins Untergeschoss zu gehen. Temperaturmäßig war es nicht ganz so unan­ge­nehm wie oben in mei­nem auf­ge­heiz­ten Büro. Georg Daun war Chefkoch und Inhaber des Ausfluglokals »Zum wil­den Hirsch« in Edigheim.

Daun konn­te sich durch­aus über eine stei­gen­de Beliebtheit sei­nes Etablissements freu­en, was an sei­ner exzel­len­ten Kochkunst lag. KPD pfleg­te regel­mä­ßig bei ihm zu spei­sen, aus die­sem Grund hat­te mein Chef mir die Vernehmung auf­ge­drückt. Georg Daun hat­te näm­lich mut­maß­lich eine wei­te­re Passion: Einbrüche in geho­be­nen Einfamilienhäusern. Erst der Zufall brach­te es ans Tageslicht, dass die Besitzer der aus­ge­raub­ten Wohnungen zur Einbruchszeit stets im wil­den Hirsch speisten.

Der Verdacht fiel dar­auf­hin schnell auf Daun, doch die­ser prä­sen­tier­te stets hieb- und stich­fes­te Alibis. Vor zwei Tagen kam es zum bis­her letz­ten Einbruch die­ser Art, der exakt in das glei­che Schema pass­te. Ich kon­fron­tier­te Daun mit die­sem Fall. »Ich hof­fe für Sie, dass Sie wie­der ein erst­klas­si­ges Alibi haben. Sie kön­nen sicher sein, dass ich es äußerst peni­bel über­prü­fen werde.«

Der Chefkoch lächel­te sie­ges­si­cher. »Aber Herr Palzki, hat sich mein Alibi in der Vergangenheit ein ein­zi­ges Mal als falsch erwie­sen? Warum glau­ben Sie und Herr Diefenbach mir nicht, dass ich unmög­lich Ihr gesuch­ter Täter sein kann.« Nach einem fet­ten Grinsen leg­te er los: »Zu der Zeit, als der Einbruch geschah, war ich auf dem Wochenmarkt und habe dort fri­schen Spargelsalat und Radieschen gekauft. Sie wis­sen ja, dass ich mei­ne Ware tages­frisch bezie­he. Manchmal fehlt etwas, das besor­ge ich dann höchst­per­sön­lich auf dem Markt, denn ich ach­te sehr auf Qualität.«

Ich starr­te ihn pro­vo­zie­rend an. »Können Sie mir Zeugen nen­nen, die Sie auf dem Wochenmarkt gese­hen haben?«

»Aber Herr Palzki«, ant­wor­te­te Daun. »Mich haben jede Menge Leute gese­hen, ob die sich jedoch an mich erin­nern, kann ich natür­lich nicht sagen, das ist aber schließ­lich Ihre Aufgabe.«

Bisher war ich mit der gan­zen Befragung alles ande­re als zufrie­den. »Selbst die Marktbeschicker wer­den sich wahr­schein­lich kaum dar­an erin­nern kön­nen, an wel­chem Tag Sie dort etwas gekauft haben oder nicht.«

Daun sah mich frech an. »Das ist nicht mein Problem, Herr Palzki!«

Ich bau­te mich her­aus­for­dernd vor ihm auf. »Dieses Mal haben Sie es ein­deu­tig zu weit getrie­ben, Herr Daun. Ihr Alibi ist auf jeden Fall falsch.«

Frage: Wo hat Georg Daun gelogen?

Ratekrimi Nr. 13

Astronaut

Palzki und der Astronaut

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Das Weltall hat­te schon immer eine mys­ti­sche Faszination auf mich aus­ge­übt. Sei es als klei­nes Kind beim Betrachten des nächt­li­chen Firmaments oder als Jugendlicher bei den vie­len Besuchen im Planetarium. Meine Eltern behaup­te­ten, mei­ne Neigung zu astro­no­mi­schen Themen wäre seit dem Tag mei­ner Geburt vor­han­den. Zugegeben, ich kam just in der Nacht der ers­ten Mondlandung im Jahre 1969 auf die Welt, doch zu die­sem Zeitpunkt war mir die­ses Ereignis noch so ziem­lich egal. Trotzdem, das Technik-Museum Speyer mit der größ­ten Weltraumausstellung Europas besuch­te ich auch als Erwachsener min­des­tens ein­mal im Jahr. Vor ein paar Jahren hat­te ich den Fehler gemacht, die Ausstellung zusam­men mit mei­nen Kindern zu besu­chen, doch so einen Fehler macht man kein zwei­tes Mal. Die Kinder, stän­dig von einer inner­li­chen Unruhe getrie­ben, ras­ten durch das Museum, um ja nichts zu ver­pas­sen und über­all gewe­sen zu sein. Als Erwachsener ließ man den Besuch eher geruh­sa­mer ange­hen und neig­te zudem dazu, die vie­len Erklärungen und Informationstafeln zu den Ausstellungsstücken zu lesen. Dies stand abso­lut im Widerspruch zu den Wünschen unse­rer Kinder, denen die Erklärungen fast immer egal waren.

Erfreut hat­te ich in der letz­ten Woche in der Zeitung gele­sen, dass ein Astronaut und Physiker nach Ludwigshafen in den Pfalzbau kam, um einen sei­ner Vorträge zu hal­ten. Der Name des Vortragenden sag­te mir zwar nichts, doch auch ich kann­te natür­lich nicht alle Experten aus die­sem Fach.

Voller Vorfreude fuhr ich an die­sem betref­fen­den Tag nach Ludwigshafen. Die Zahl der inter­es­sier­ten Zuhörer hielt sich lei­der stark in Grenzen, was mei­ne Erwartungshaltung aber nicht trübte.

John Walkings kam auf die Bühne und stell­te sich vor. Er war etwa 60 Jahre alt und wirk­te sehr fit. Zu Beginn zeig­te er ein Stück eines ori­gi­na­len Mondsteins. »Den habe ich von mei­nem Vater Elroy«, erklär­te er. »Elroy war ein Kamerad von Buzz Aldrin. Kennengelernt haben sie sich 1951 im Koreakrieg, als bei­de Kampfflieger waren.«

Natürlich wuss­te ich mit dem Namen Buzz Aldrin etwas anzu­fan­gen, doch Walkings erklär­te es für alle. »Buzz Aldrin war mit Apollo 11 der zwei­te Mann auf dem Mond, gleich nach Louis Armstrong. Als zwei­ter Mensch auf dem Mond ist er lei­der nicht so bekannt wie Armstrong.« Er schau­te sich um. »Weiß von Ihnen jemand, wie der drit­te Mann hieß, der bei der Apollo 11 Mission dabei war?«

Sofort streck­te ich mei­ne Hand und rief: »Michael Collins! «

Dass mich die ande­ren Zuhörer anstarr­ten, mach­te mir nichts aus. »Hervorragend«, ant­wor­te­te Walkings, kam zu mir und schüt­tel­te mir die Hand. »Collins hat den Mond aber nie selbst betre­ten. Er blieb in der Kommandokapsel und umrun­de­te mit ihr den Mond, wäh­rend Louis Armstrong und Buzz Aldrin den Mond betraten.«

Im Hintergrund lie­fen nun auf einer Leinwand alte Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Mondlandung. Dann sah man einen Astronauten. Dieses Bild war sehr bekannt. Walkings trat erneut vor und erklär­te: »Fast jeder meint, die berühm­te Aufnahme zeigt Armstrong. Doch dies ist lei­der falsch. Die ers­te Aufnahme auf dem Mond, auf der ein Astronaut abge­bil­det ist, zeigt Buzz Aldrin. Es gibt fast kei­ne Aufnahme von Louis Armstrong auf dem Mond.«

Nun schlug Walkings einen Bogen zu sei­ner eige­nen Tätigkeit als Astronaut. Sie hat­te aber nichts mit den span­nen­den Apollo-Missionen zu tun, und auf dem Mond war er auch nicht. Dennoch war es inter­es­sant, aus dem Leben eines Astronauten berich­tet zu bekom­men. Blöderweise hat­te ich ein selt­sa­mes Gefühl in der Bauchgegend. Es lag nicht am Hunger, son­dern an einem Fehler in der Berichterstattung Walkings, der mich stut­zig gemacht hat­te. So etwas dürf­te eigent­lich nicht pas­sie­ren. Ob er wirk­lich der Experte war, für den er sich ausgab?

Ratekrimi Nr. 97

Schultafel

Palzki und der Mathelehrer

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Geht es Ihnen nicht auch manch­mal so wie mir? Da schuf­tet man die gan­ze Woche, schiebt Überstunden ohne Ende, damit die viel­fäl­ti­ge Gaunerschar in der Pfalz nicht über­hand­nimmt, kommt schließ­lich frei­tag­abends spät nach Hause, um das Wochenende mit der Familie zu genie­ßen, und dann das:

»Mein Fahrrad ist kaputt«, schall­te mir Pauls Stimme aus dem Wohnzimmer ent­ge­gen, wäh­rend ich mir im Flur die Schuhe auszog.

»Hallo Schatz«, begrüß­te mich eine Minute spä­ter mei­ne Frau Stefanie, »das Essen dau­ert noch eine Weile. Ich bin unse­rer Nachbarin Frau Ackermann über den Weg gelau­fen und ruck­zuck war der Nachmittag vor­bei.« Während mein Magen knurr­te und ich resi­gniert nick­te, ergänz­te sie: »Könntest du geschwind mal unter der Spüle nach­schau­en, ich glau­be, da tropft etwas.«

Von Tropfen konn­te nicht die Rede sein, es war eher ein Fließen. Der Putzeimer unter der Spüle war bereits halb mit Wasser gefüllt. Mit nas­sen Ärmeln setz­te ich mich nach einem erfolg­lo­sen Reparaturversuch an den Küchentisch, um in den Gelben Seiten nach einem geeig­ne­ten Handwerker zu suchen und ein wenig zu rege­ne­rie­ren. Da kam mei­ne zwölf­jäh­ri­ge Tochter und zog mir das Telefonbuch weg. »Du musst mir jetzt bei den Mathehausaufgaben hel­fen, Daddy.«

»Kannst du das nicht allein, Melanie?« Mein Versuch, mich mit dem Teufelszeug nicht befas­sen zu müs­sen, scheiterte.

»Ne, seit wir den neu­en Mathelehrer haben, raf­fe ich über­haupt nichts mehr. Manchmal den­ke ich, der redet chi­ne­sisch. Allen ande­ren in mei­ner Klasse geht es genauso.«

Aha, dach­te ich mit einer gewis­sen Genugtuung. Die Ausrede »allen ande­ren in mei­ner Klasse geht es genau­so« war wahr­schein­lich schon so alt wie es Schulen gab, um eige­ne Defizite den Eltern gegen­über abzu­schwä­chen. Ich ver­such­te, ihr ins Gewissen zu reden. »Melanie, mathe­ma­ti­sches Grundwissen ist im Leben sehr wich­tig. Ohne Zahlen geht es nicht. So schwie­rig ist das doch gar nicht. Das haben schon ganz ande­re Leute kapiert.«

Mein letz­ter Satz war ein Fehler. »Was hat­test du denn in Mathe?«, frag­te sie und grins­te mich gemein an.

Ich lief rot an, hof­fent­lich hat­te sie dies nicht bemerkt. »Ich war jeden­falls so gut, dass es für eine Karriere bei der Kriminalpolizei gereicht hat«, ent­geg­ne­te ich schnell.

Melanie ver­zich­te­te dar­auf, mir zu erläu­tern, dass Polizeibeamte alle­samt schlecht in Mathe sind. Sie schien mit den Gedanken woan­ders zu sein.

»Du, Daddy«, sag­te sie schließ­lich. »Irgendetwas stimmt mit unse­rem neu­en Lehrer nicht. Der ist nicht nur chao­tisch, son­dern kapiert das Zeug genau­so wenig wie wir. Ständig ver­bes­sert er sich im Unterricht und behaup­tet lau­fend was anderes.«

Ich zuck­te mit den Achseln. »So sind Lehrer halt mal. Da muss man durch.« Um Melanie etwas zu moti­vie­ren, bat ich sie, mir ihre Aufgaben zu zeigen.

»Das ist ein Arbeitsblatt, das er heu­te aus­ge­teilt hat.«

Oje, aus­ge­rech­net Geometrie. Ich las die ers­te Aufgabe: Gegeben ist ein Quadrat mit der Kantenlänge 5 Millimeter. Wie groß ist das Volumen? Die zwei­te Aufgabe war wil­der: Ein recht­wink­li­ges Dreieck hat einen Winkel mit 40 Grad. Wie groß sind die bei­den ande­ren Winkel?

Melanie sah mei­nen ver­zwei­fel­ten Gesichtsausdruck. »Weißt du jetzt, was ich mei­ne? Dann macht er lau­fend blö­de Witze. Heute mein­te er, ein Kreis mit 360 Grad wäre ganz schön heiß. Letzte Woche sag­te er zu uns, dass man 60-Grad-Wäsche recht­wink­lig zusam­men­le­gen sollte.«

Nachdenklich frag­te ich sie: »Seit wann habt ihr den Lehrer?«

»Seit drei Wochen, das soll ein Quereinsteiger sein. Er wohnt in Ruchheim.«

»Ich glau­be, ich wer­de ihn mir mal vor­knöp­fen müs­sen. Du hast übri­gens recht, Melanie: Das ist nie und nim­mer ein aus­ge­bil­de­ter Mathematiklehrer.«

Frage: Was war Palzki aufgefallen?

Ratekrimi Nr. 24

Museum

Palzki und der Goldene Hut

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Schifferstadt hat­te sei­ne Einmaligkeit im Rhein-Pfalz-Kreis ver­lo­ren. Denn vor vier Tagen wur­de auf der Gemarkung Fußgönheim ein wei­te­rer Goldener Hut gefun­den, der in Größe und Vollkommenheit dem Schifferstadter weit über­le­gen war. Bevor die­ses Prachtstück zu einer Untersuchung an eine renom­mier­te Universität geschickt wer­den soll­te, bekam die Bevölkerung heu­te die Gelegenheit, ihn im Heimatmuseum Fußgönheim im Hallberg Schloss besich­ti­gen zu kön­nen. Hätte sie zumin­dest, wäre nicht der Leiter des Heimatmuseums kalt­blü­tig ermor­det wor­den. Dem nicht genug, waren auch der wert­vol­le Hut und wei­te­re Ausstellungsstücke ver­schwun­den. Eine hal­be Stunde, nach­dem der tote Eberhard Deumann gefun­den wur­de, war ich als ermit­teln­der Kommissar vor Ort und konn­te mir ein ers­tes Bild von die­sem grau­sa­men Geschehen machen. Das hal­be Museum war ver­wüs­tet, es sah nach einem grö­ße­ren Kampf aus.

»Deumann wur­de mit einem Hammer oder einem ähn­li­chen Gegenstand erschla­gen«, berich­te­te mir einer der Spurensicherer. Daraufhin ver­zich­te­te ich, die Leiche anzu­schau­en. »Wurde nur die­ser Goldene Hut gestoh­len? «, frag­te ich eine in Tränen auf­ge­lös­te Museumsmitarbeiterin.

»Nein, es feh­len wei­te­re kost­ba­re land­wirt­schaft­li­che Exponate, um die uns die Kollegen der benach­bar­ten Museen schon lan­ge beneiden.«

Diesen Hinweis konn­te man nicht unbe­dingt als eine hei­ße Spur bezeich­nen, doch zumin­dest als Ermittlungsansatz war er zu gebrau­chen. Deshalb traf ich mich eine Stunde spä­ter mit Herrn Roy Illert, dem Chef des Mutterstadter Museums für Ortsgeschichte im alten Rathaus. »Wie Sie noch nicht wis­sen kön­nen, wur­de heu­te Morgen Ihr Kollege Deumann ermor­det und von dem neu gefun­de­nen Goldenen Hut fehlt jede Spur.«

Illert rang um Fassung. »Das darf doch nicht wahr sein! Eberhard war mein Freund und ein her­zens­gu­ter Mensch. Und nur wegen dem blö­den Ding wur­de er jetzt erschla­gen. Das gibt es doch nicht. Hoffentlich fin­den Sie bald den Mörder, und er bekommt sei­ne gerech­te Strafe.«

Er schüt­tel­te den Kopf und fing an zu wei­nen. Ich stell­te ihm noch ein paar Fragen, er konn­te mir aber in der Ermittlungssache nicht wei­ter­hel­fen. So fuhr ich etwas rat­los ins Schifferstadter Heimatmuseum. Stolz zeig­te mir der Leiter Fritz Benn die Kopie des Schifferstadter Goldenen Hutes.

»Ich kann­te Herrn Deumann kaum«, ant­wor­te­te er betrof­fen auf die Todesnachricht sei­nes Kollegen. »Damit so etwas Schreckliches bei uns nicht pas­sie­ren kann, wer­den wir in unse­rem Museum gleich nächs­te Woche eine Sicherheitsprüfung veranlassen.«

»Man sagt, dass es in Fußgönheim ein paar Ausstellungsstücke gibt, um die das Museum benei­det wurde.«

»Das stimmt, Herr Palzki. Das trifft aber auf jedes Museum im Landkreis zu. Wir haben auch sel­te­ne regio­na­le Exponate, die ande­re Museen lie­bend gern haben würden.«

»Wann waren Sie das letz­te Mal in Fußgönheim?«

Benn über­leg­te. »Das muss bestimmt ein Jahr her sein. Wir Museumsleiter tau­schen uns zwar in unse­rem Netzwerk regel­mä­ßig aus, aber meis­tens tref­fen wir uns in einem Restaurant in Maxdorf. Die letz­te Zusammenkunft fand vor zwei Monaten statt.« Ich bedank­te mich für die Auskünfte, jedoch kam ich auch in Schifferstadt nicht weiter.

Meine nächs­te Etappe war die his­to­ri­sche Schuhmacherwerkstatt in Dannstadt, auch wenn ich mir nicht rich­tig vor­stel­len konn­te, wozu man dort einen Goldenen Hut brauch­te. Ich kam eine Winzigkeit zu spät. Der ehren­amt­li­che Museumsvorsitzende Ricco Kassandro, den ich von unter­wegs tele­fo­nisch in die Werkstatt beor­dert hat­te, ver­starb in mei­nen Armen. Ich konn­te nichts mehr für ihn tun, sein Blutverlust war bereits zu groß gewe­sen. Mit letz­ter Kraft hauch­te er mir ein paar Worte ent­ge­gen: »Ich woll­te nicht, dass Deumann stirbt. Das war nicht mei­ne Schuld. Es war –«

Kassandro schluck­te Blut. »Ihn hat die Gier zer­fres­sen. Der Hut steht in –« Das waren sei­ne letz­ten Worte. Vor mir lag also der tote Mittäter. Inzwischen wuss­te ich aber, wer als Haupttäter infra­ge kam.

Frage: Wer war der Mörder von Eberhard Deumann?

Ratekrimi Nr. 47

Waffe und Geld

Palzki und der flüch­ten­de Bankräuber

Autor: Harald Schneider

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Es hät­te so ein schö­ner Tag wer­den können.

Von Selbstjustiz sind wir Polizeibeamte von Berufs wegen nicht sehr über­zeugt. Selbstverteidigung und Notwehrgründe waren zwar akzep­ta­bel, aber bei­spiels­wei­se einen flüch­ten­den Teenager, der im Supermarkt eine Dose Cola stiehlt, mit einem Wagenkreuz aus dem Hinterhalt her­aus nie­der­zu­mä­hen, nein, das ging wirk­lich zu weit. Aber lei­der sind auch wir Polizeibeamte nicht vor Überreaktionen gefeit. In der Ausbildung wird zwar die Besonnenheit als eine sehr wich­ti­ge Charaktereigenschaft eines Beamten her­aus­ge­stellt, im Berufsleben funk­tio­nier­te das aber im Eifer des Gefechts nicht immer. Zum Glück gab es in den letz­ten Jahren dies­be­züg­lich kei­ne Pannen, wie sie vor rund 20 Jahren pas­sier­te, als ein Polizeibeamter einem auf sei­nem Mofa flüch­ten­den 15-Jährigen hin­ter­her­schoss, bloß weil die­ser kein gül­ti­ges Versicherungskennzeichen besaß und die Verkehrskontrolle igno­rier­te. Das Projektil wur­de aus dem Hinterrad des Mofas geborgen.

Diese Gedanken schos­sen mir durch den Kopf, als die ers­te Meldung zu einem Überfall der Edigheimer Sparkasse in unse­rer Dienststelle ankam. Zwei Bankmitarbeiter sol­len dem Täter gefolgt und ihn über­wäl­tigt haben, als er auf sein Fluchtfahrrad stei­gen woll­te. Fahrräder als Fluchtfahrzeuge waren bei Bankräubern all­ge­mein beliebt, zumal man ver­fol­gen­de Polizeifahrzeuge bei guter Ortskenntnis leicht abschüt­teln konn­te. Da mei­ne Kollegen ander­wei­tig beschäf­tigt waren und an die­sem auf­ge­klär­ten Fall kein Interesse zeig­ten, mach­te ich mich auf den Weg zur Bank. Trotz des schnel­len Fahndungserfolgs war das Gebäude weit­räu­mig abge­sperrt. Anscheinend war es nicht klar, ob es sich bei dem Festgenommenen um einen Einzeltäter handelte.

Im Büro des Bankdirektors, der in die­sem Fall weib­lich war, traf ich auf zwei Kollegen, die den ver­meint­li­chen Räuber in Handschellen ver­nah­men. Die bei­den Sparkassenmitarbeiter, die den Täter gefan­gen hat­ten, waren dabei.

»Ich bin unschul­dig«, schrie der Verdächtige, der einen etwas ver­wahr­los­ten Eindruck mach­te und den ich auf Anfang 20 schätz­te. »Ich war über­haupt nicht in die­ser Bank.«

»Und wie kommt es, dass Sie die glei­che Jacke und die glei­che Mütze tra­gen wie der Täter? Schauen Sie sich das Bild unse­rer Überwachungskamera genau an, erken­nen Sie sich nicht wieder?«

»Das bin ich nicht!«, schrie die­ser. »Das Bild ist viel zu unscharf.« Insgeheim muss­te ich ihm recht geben. Nur mit viel Fantasie konn­te man eine gewis­se Ähnlichkeit abs­tra­hie­ren. Ich misch­te mich ein.

»Erzählen Sie, was aus Ihrer Sicht pas­siert ist.« Der Verdächtige beru­hig­te sich.

»Ich woll­te gera­de mein Fahrrad auf­schlie­ßen, da kamen die­se bei­den Verrückten ange­rannt und nah­men mich in die Zange.« Ich wand­te mich an die bei­den Bankangestellten. »Habt ihr das Geld sichergestellt?«

Sie schüt­tel­ten den Kopf. »Nein, da war noch ein Kerl. Die bei­den haben sich kurz unter­hal­ten und dann ist der ande­re weg­ge­rannt. Wir konn­ten nur einen der bei­den fest­hal­ten. Wahrscheinlich hat der ande­re das Geld.«

»Ihr spinnt alle«, unter­brach der Verdächtige. »Der Typ hat mich nur nach dem Weg gefragt. Ich ken­ne den über­haupt nicht.«

Ich muss­te geziel­ter vor­ge­hen. »Gehen wir mal nach drau­ßen und schau­en uns die Lage an.« Die Bankdirektorin blieb im Büro, alle ande­ren gin­gen mit nach drau­ßen. 50 Meter neben der Sparkasse stand ein Fahrrad an einem Baum. »Ist das Ihr Rad?« Der Verdächtige nick­te. Im glei­chen Moment kam ein Polizist mit einem Bolzenschneider hin­zu. »Gehen Sie bit­te mal auf die Seite. Ich soll das Schloss kna­cken, damit wir das Rad sicher­stel­len kön­nen.« Ich schüt­tel­te den Kopf. »Das kön­nen Sie sich spa­ren, hier liegt ein Irrtum vor. Das ist nicht der Täter.«

Frage: Was war Reiner Palzki aufgefallen?