Schultafel

Palzki und der Mathelehrer

Autor: Harald Schneider

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Es hätte so ein schöner Tag werden können.

Geht es Ihnen nicht auch manchmal so wie mir? Da schuftet man die ganze Woche, schiebt Überstunden ohne Ende, damit die vielfältige Gaunerschar in der Pfalz nicht überhandnimmt, kommt schließlich freitagabends spät nach Hause, um das Wochenende mit der Familie zu genießen, und dann das:

»Mein Fahrrad ist kaputt«, schallte mir Pauls Stimme aus dem Wohnzimmer entgegen, während ich mir im Flur die Schuhe auszog.

»Hallo Schatz«, begrüßte mich eine Minute später meine Frau Stefanie, »das Essen dauert noch eine Weile. Ich bin unserer Nachbarin Frau Ackermann über den Weg gelaufen und ruckzuck war der Nachmittag vorbei.« Während mein Magen knurrte und ich resigniert nickte, ergänzte sie: »Könntest du geschwind mal unter der Spüle nachschauen, ich glaube, da tropft etwas.«

Von Tropfen konnte nicht die Rede sein, es war eher ein Fließen. Der Putzeimer unter der Spüle war bereits halb mit Wasser gefüllt. Mit nassen Ärmeln setzte ich mich nach einem erfolglosen Reparaturversuch an den Küchentisch, um in den Gelben Seiten nach einem geeigneten Handwerker zu suchen und ein wenig zu regenerieren. Da kam meine zwölfjährige Tochter und zog mir das Telefonbuch weg. »Du musst mir jetzt bei den Mathehausaufgaben helfen, Daddy.«

»Kannst du das nicht allein, Melanie?« Mein Versuch, mich mit dem Teufelszeug nicht befassen zu müssen, scheiterte.

»Ne, seit wir den neuen Mathelehrer haben, raffe ich überhaupt nichts mehr. Manchmal denke ich, der redet chinesisch. Allen anderen in meiner Klasse geht es genauso.«

Aha, dachte ich mit einer gewissen Genugtuung. Die Ausrede »allen anderen in meiner Klasse geht es genauso« war wahrscheinlich schon so alt wie es Schulen gab, um eigene Defizite den Eltern gegenüber abzuschwächen. Ich versuchte, ihr ins Gewissen zu reden. »Melanie, mathematisches Grundwissen ist im Leben sehr wichtig. Ohne Zahlen geht es nicht. So schwierig ist das doch gar nicht. Das haben schon ganz andere Leute kapiert.«

Mein letzter Satz war ein Fehler. »Was hattest du denn in Mathe?«, fragte sie und grinste mich gemein an.

Ich lief rot an, hoffentlich hatte sie dies nicht bemerkt. »Ich war jedenfalls so gut, dass es für eine Karriere bei der Kriminalpolizei gereicht hat«, entgegnete ich schnell.

Melanie verzichtete darauf, mir zu erläutern, dass Polizeibeamte allesamt schlecht in Mathe sind. Sie schien mit den Gedanken woanders zu sein.

»Du, Daddy«, sagte sie schließlich. »Irgendetwas stimmt mit unserem neuen Lehrer nicht. Der ist nicht nur chaotisch, sondern kapiert das Zeug genauso wenig wie wir. Ständig verbessert er sich im Unterricht und behauptet laufend was anderes.«

Ich zuckte mit den Achseln. »So sind Lehrer halt mal. Da muss man durch.« Um Melanie etwas zu motivieren, bat ich sie, mir ihre Aufgaben zu zeigen.

»Das ist ein Arbeitsblatt, das er heute ausgeteilt hat.«

Oje, ausgerechnet Geometrie. Ich las die erste Aufgabe: Gegeben ist ein Quadrat mit der Kantenlänge 5 Millimeter. Wie groß ist das Volumen? Die zweite Aufgabe war wilder: Ein rechtwinkliges Dreieck hat einen Winkel mit 40 Grad. Wie groß sind die beiden anderen Winkel?

Melanie sah meinen verzweifelten Gesichtsausdruck. »Weißt du jetzt, was ich meine? Dann macht er laufend blöde Witze. Heute meinte er, ein Kreis mit 360 Grad wäre ganz schön heiß. Letzte Woche sagte er zu uns, dass man 60-Grad-Wäsche rechtwinklig zusammenlegen sollte.«

Nachdenklich fragte ich sie: »Seit wann habt ihr den Lehrer?«

»Seit drei Wochen, das soll ein Quereinsteiger sein. Er wohnt in Ruchheim.«

»Ich glaube, ich werde ihn mir mal vorknöpfen müssen. Du hast übrigens recht, Melanie: Das ist nie und nimmer ein ausgebildeter Mathematiklehrer.«

Frage: Was war Palzki aufgefallen?