Spargel

Palzki und der Chefkoch

Autor: Harald Schneider

Audiodatei (mp3) hören

Es hätte so ein schöner Tag werden können.

Der Juni endete mit einer grandiosen Hitzewelle, so heiß war schon seit Jahrzehnten kein Juni mehr gewesen. Leider brachten auch die ersten beiden Wochen des Folgemonats keine wesentliche Besserung: Die Wetterprognosen lagen auch für die nächsten Tage rekordverdächtig hoch. Unser Rasen sah aus wie die Sahara und selbst meine Frau Stefanie verzichtete aufgrund der extremen Wetterlage darauf, mir einen Auftrag zur Bewässerung des Gartens zu erteilen. Zu Hause hatte ich mir vor Jahren ein kleines privates Büro im Keller eingerichtet, das ich bisher mangels Büroarbeiten nur homöopathisch nutzte, das aber zurzeit aufgrund der angenehmen Raumkühle als Rückzugsort hervorragend geeignet war. Die Betonung lag auf dem Wörtchen »war«, da meine Frau die Vorzüge des Kellers ebenfalls entdeckte und dort seitdem ihre Bügelwäsche abarbeitete, natürlich mit dem entsprechenden Dampfdruckgerät.

Im Büro auf meiner Dienststelle war es fast nicht mehr auszuhalten. Das lag zum einen an meinem Chef KPD, wie wir den Dienststellenleiter Klaus P. Diefenbach nannten. Dies war ein Dauerzustand, den es unabhängig von der Wetterlage immer auszuhalten galt. Zum anderen lag mein Büro ausgerechnet auf der Südseite und durch das beschattungslose Panoramafenster knallte die Sonne erbarmungslos auf mich nieder, selbst das Furnier der Schreibtischplatte bekam erste Brandblasen.

Unser Chef hatte es natürlich besser: Für seine überdimensionierte Klimaanlage, die sein riesiges Großraumbüro auf gefühlt knapp über den Gefrierpunkt abkühlte, hatte er den Stromanschluss der Dienststelle verstärken lassen müssen. Nach Information des Hausmeisters benötigte unsere Dienststelle im Sommer mehr Strom als die Rheingalerie. Bisher war ich alles andere als froh gewesen, wenn KPD mich in sein Büro bestellt hatte, da es immer mit etwas Unheilvollem verbunden war. Und so war es auch dieses Mal, glücklicherweise konnte ich mich so ein paar Minuten lang arktischen Temperaturen aussetzen, die es sonst nur in den Gefriertruhen der Supermärkte gab.

»Herr Palzki«, begrüßte mich KPD, der einen schicken Schurwollanzug und ein langärmliges Hemd trug. »In der Arrestzelle sitzt Georg Daun. Gehen Sie runter und überprüfen Sie sein Alibi. Das ist extrem wichtig für mich, machen Sie es deshalb sofort und danach melden Sie sich bei mir zum Rapport.«

Mir blieb nichts anderes übrig, als zur Arrestzelle ins Untergeschoss zu gehen. Temperaturmäßig war es nicht ganz so unangenehm wie oben in meinem aufgeheizten Büro. Georg Daun war Chefkoch und Inhaber des Ausfluglokals »Zum wilden Hirsch« in Edigheim.

Daun konnte sich durchaus über eine steigende Beliebtheit seines Etablissements freuen, was an seiner exzellenten Kochkunst lag. KPD pflegte regelmäßig bei ihm zu speisen, aus diesem Grund hatte mein Chef mir die Vernehmung aufgedrückt. Georg Daun hatte nämlich mutmaßlich eine weitere Passion: Einbrüche in gehobenen Einfamilienhäusern. Erst der Zufall brachte es ans Tageslicht, dass die Besitzer der ausgeraubten Wohnungen zur Einbruchszeit stets im wilden Hirsch speisten.

Der Verdacht fiel daraufhin schnell auf Daun, doch dieser präsentierte stets hieb- und stichfeste Alibis. Vor zwei Tagen kam es zum bisher letzten Einbruch dieser Art, der exakt in das gleiche Schema passte. Ich konfrontierte Daun mit diesem Fall. »Ich hoffe für Sie, dass Sie wieder ein erstklassiges Alibi haben. Sie können sicher sein, dass ich es äußerst penibel überprüfen werde.«

Der Chefkoch lächelte siegessicher. »Aber Herr Palzki, hat sich mein Alibi in der Vergangenheit ein einziges Mal als falsch erwiesen? Warum glauben Sie und Herr Diefenbach mir nicht, dass ich unmöglich Ihr gesuchter Täter sein kann.« Nach einem fetten Grinsen legte er los: »Zu der Zeit, als der Einbruch geschah, war ich auf dem Wochenmarkt und habe dort frischen Spargelsalat und Radieschen gekauft. Sie wissen ja, dass ich meine Ware tagesfrisch beziehe. Manchmal fehlt etwas, das besorge ich dann höchstpersönlich auf dem Markt, denn ich achte sehr auf Qualität.«

Ich starrte ihn provozierend an. »Können Sie mir Zeugen nennen, die Sie auf dem Wochenmarkt gesehen haben?«

»Aber Herr Palzki«, antwortete Daun. »Mich haben jede Menge Leute gesehen, ob die sich jedoch an mich erinnern, kann ich natürlich nicht sagen, das ist aber schließlich Ihre Aufgabe.«

Bisher war ich mit der ganzen Befragung alles andere als zufrieden. »Selbst die Marktbeschicker werden sich wahrscheinlich kaum daran erinnern können, an welchem Tag Sie dort etwas gekauft haben oder nicht.«

Daun sah mich frech an. »Das ist nicht mein Problem, Herr Palzki!«

Ich baute mich herausfordernd vor ihm auf. »Dieses Mal haben Sie es eindeutig zu weit getrieben, Herr Daun. Ihr Alibi ist auf jeden Fall falsch.«

Frage: Wo hat Georg Daun gelogen?